Konzertarchiv
Saint-Saëns, Elgar, Parry
13. November 2021
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Klavierkonzert Nr. 1, D-Dur, op. 17 (1858)
Edward Elgar (1857-1934)
Serenade für Streichorchester, e-Moll, op. 20 (1892)
Hubert Parry (1848-1918)
Suite für Orchester in F, Lady Radnor's Suite (1894)
Dirigent: Knud Jansen
Sophia Weidemann, Klavier
Fragen an die Pianistin Sophia Weidemann, Solistin des Abends
- Das Klavierkonzert Nr. 1 von Camille Saint-Saëns ist ein eher selten gespieltes Klavierkonzert und gehört auch nicht zwingend zum Repertoire eines Konzertpianisten. Wann und wie sind Sie dem Stück zum ersten Mal überhaupt und im Besonderen als Interpretin begegnet?
S.W.: Ich habe dieses Stück erst kennengelernt nachdem die Anfrage kam, es mit Ihnen zusammen aufzuführen. Von Camille Saint-Saëns war mir nur das zweite Klavierkonzert geläufig und das hatte ich auch schon im Konzert gehört. Dass er insgesamt fünf Klavierkonzerte geschrieben hat – und damit die gleiche Anzahl wie Beethoven – war für mich eine Neuentdeckung.
- Wie gehen Sie beim Erarbeiten eines solch anspruchsvollen Werkes vor? Spielen für Sie bei der Entwicklung einer eigenen Vorstellung bzw. Interpretation des Konzerts die Einspielungen anderer PianistInnen eine Rolle?
S.W.: Ich habe mir das Stück zuerst angehört um abzuschätzen ob es mir gefällt und ob ich es bis Mitte November „draufkriegen“ kann. Dann habe ich mir die Noten besorgt und erstmal keine Aufnahmen mehr angehört, um meinen eigenen Zugang zu dem Werk zu finden. Ganz spannend finde ich dabei, dass das erste Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns so unbekannt ist, denn dadurch habe ich einen ganz freien Zugang zu dem Werk. Damit meine ich, dass beispielsweise beim Erarbeiten eines Beethoven Klavierkonzertes immer schon die klangliche Realisation im Hinterkopf hörbar ist, einfach darum, weil man das Stück schon so oft gehört hat. Und all das fällt bei Saint-Saëns weg, und das hat mich sehr beflügelt es extra für dieses Konzert heute Abend zu lernen.
- Das Konzert verlangt Beides: den Virtuosen in solistisch angelegten Passagen und den mit dem Orchester kommunizierenden Partner. Welche Aspekte der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten und dem Orchester sind Ihnen dabei wichtig? Oder anders gefragt: Wie könnte Ihrer Meinung nach eine ideale Zusammenarbeit von DirigentIn und Orchester aussehen?
S.W.: Die ideale Zusammenarbeit wäre für mich, ganz viel Probenzeit zu haben, in der wir auch verschiedene Möglichkeiten des Zusammenspiels ausprobieren können. In der Regel gibt es ja nur eine Probe und dann die Generalprobe, in der nur durchgespielt wird. Da gibt es kaum Raum etwas zu testen – Solist, Dirigent und Orchester müssen einfach irgendwie zusammen passen. Beispielsweise spielt der dritte Satz geradezu mit dem Dialog zwischen Orchester und Klavier. Das finde ich besonders reizvoll, da es sich wie eine Unterhaltung zwischen Solist und Orchester anhört. Herr Jansen und ich haben uns schon vor der Orchesterprobe zu zweit getroffen und sind das Werk durchgegangen. Das war prima, da wir uns schon über die wichtigsten Übergänge einig waren bevor das Orchester dazu kam.
- Solistin – Kammermusikerin, Sie sind beides. Gibt es für Sie gravierende Unterschiede?
S.W.: Ich mag sowohl alleine zu spielen als auch im Ensemble. Der größte Unterschied liegt für mich in der Vorbereitung und im Konzert selber. Spiele ich ein Soloprogramm, dann liegt es ausschließlich in meiner Verantwortung mich darauf vorzubereiten. Und am Schluss auf der Bühne muss ich mich ganz auf mich verlassen können. Spiele ich Kammermusik, dann erarbeite ich das Stück zuerst für mich, und anschließend machen wir gemeinsame Proben. Während dieser Proben probieren wir viel aus – denn jeder hat ja eine etwas andere Sicht auf das musikalische Geschehen. Und am Ende sitzen wir gemeinsam auf der Bühne und musizieren. Dabei gibt es immer Überraschungen, denn niemand spielt immer ganz exakt gleich. Und in der Kammermusik muss man auf diese kleinen Unterschiede reagieren können. Ich kann also nicht einfach mein Ding machen, sondern bin immer meinem Ensemble verpflichtet.
- Als Pianistin konzertieren Sie in der Regel nicht auf ihrem eigenen Instrument, sondern müssen sich auf das jeweils zur Verfügung stehende einstellen. Es gibt doch Unterschiede im Anschlag und Klang zwischen den gängigen Flügeln; so spielt sich beispielsweise ein Steinway anders als ein Bösendorfer oder ein Fazioli. Wie gehen Sie mit dieser Gegebenheit um?
S.W.: Es gibt sehr große Unterschiede bei den Instrumenten. Die Marken spielen da nur bedingt eine Rolle, wie ich finde. Das wichtigste ist, dass der Flügel regelmäßig gestimmt und gewartet wird. Denn wenn sich ein guter Klavierstimmer um ein Instrument kümmert, dann ist es meistens gut zu spielen. Ich persönlich freue mich immer darüber, auf einem großen Flügel spielen zu können. Denn das Klangspektrum ist dort viel größer. Damit meine ich, dass ich zum einem viel lauter spielen kann als auf einem kleinen Instrument, aber auch viel leiser. Das wichtigste für mich ist die Einspielzeit auf dem Flügel. Dabei kann ich das Instrument kennenlernen und herausbekommen was darauf möglich ist und was nicht. Im besten Fall hat man ein Instrument, das einen beflügelt und zu klanglicher Höchstleitung bringt. Aber wie oft gibt es auch den anderen Fall, und man hat eher das Gefühl, den Flügel zu mehr Wohlklang bringen zu wollen. In jedem Fall sollte ich mich mit dem Flügel arrangieren und nie gegen ihn arbeiten. Denn das führt immer zu nichts.
- Sie spielen das Konzert auswendig. Fürchten Sie sich vor möglichen Fehlern oder plötzlichen Gedächtnislücken? Haben Sie vielleicht auch Lampenfieber?
S.W.: Das ist eine sehr berechtige Frage: Ja, ich werde auf jeden Fall aufgeregt sein. Aber das gehört zu einem Auftritt mit dazu. Denn dieser Adrenalinstoß führt dazu, dass ich im Konzert immer noch besser spiele als beispielsweise in einer Probe. Ich habe sehr viel Zeit investiert, das Stück sicher auswendig zu können. Aber natürlich kann immer irgendetwas passieren – das ist menschlich. Über Fehler mache ich mir keine Gedanken, viel wichtiger finde ich, dass man immer im Stück bleibt, ganz egal was passiert.
- Das Klavier und die Streichinstrumente gehören zu den „übintensivsten“ Instrumenten. Kein Sänger oder Bläser kann stundenlang am Stück üben, was aber bei einem Pianisten oder einem Streicher gang und gäbe ist, um auf ein vergleichbares Niveau zu kommen. Wieviel Zeit verbringen Sie in der Regel am Instrument?
S.W.: Ich verbringe je nach Tagesprogramm unterschiedlich viel Zeit am Instrument. Wenn ich aber einen freien Tag habe und einfach „nur“ üben sollte, dann verbringe ich zwischen fünf bis sieben Stunden am Klavier. Am liebsten fange ich früh morgens an mit dem Üben, sodass ich dann abends frei habe. Und ich mache ganz regelmäßig kleine Pausen, um nicht müde zu werden beim Spielen.
- Hören Sie in Ihrer Freizeit auch Musik? Wenn ja, gibt es dabei Vorlieben?
S.W.: Ich höre sehr gerne Musik! Allerdings nur, wenn ich nicht den ganzen Tag selber Musik gemacht habe, Aber wenn ich etwas anhöre, dann meist klassische Musik oder aber Musik von dem Ensemble „Quadro Nuevo“. Die machen super beschwingte Musik, die einfach gute Laune macht.
Die Fragen stellte Ingeborg Havran (Mitglied des Orchesters)
Komponisten und Werkbeschreibungen
Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Klavierkonzert Nr. 1, D-Dur, op. 17 (1858)
Mit dreieinhalb Jahren hatte das Wunderkind Camille sein erstes Stück komponiert. Am Ende seines Lebens umfasste das Werk des dann 86-jährigen Camille Saint-Saëns dreihundert Kompositionen aller nur denkbarer Gattungen, darunter das wohl bekannteste Werk Der Karneval der Tiere. Unter die rund dreißig konzertanten Werke für Soloinstrument(e) und Orchester fallen allein drei Konzerte für Violine, zwei für Violoncello und fünf für das Klavier.
Nicht nur als vielseitiger und ausgezeichneter Komponist war Saint-Saëns (1835 – 1921) im Frankreich des Second Empire und der Troisième République bekannt, sondern auch als brillanter Pianist, der die Werke Beethovens, Schumanns und Wagners gegen die Vorurteile des französischen Publikums durchsetzte, der als Organist zwei Jahrzehnte an der Hauptkirche von Paris, der Madeleine, wirkte – „le tout Paris“ fand sich zu seinen sonntäglichen Improvisationen ein –, der als Dirigent eigener und fremder Werke von nahezu allen großen Orchestern der Zeit eingeladen wurde, der als Musikwissenschaftler die ersten Gesamtausgaben der Werke Jean-Phillipe Rameaus und Christoph Willibald Glucks betreute, und als Musikhistoriker vom Cembalo aus Konzerte der Société des Concerts d’instruments anciens leitete, der als Journalist verschiedener Zeitungen das musikalische Geschehen eines halben Jahrhunderts kommentierte, und der sich insbesondere als Gründer der Société Nationale de Musique für die Eigenständigkeit französischer Musik eingesetzt hatte – als Gegengewicht zum inzwischen grassierenden Wagner-Kult in Frankreich.
Nicht zuletzt förderte Saint-Saëns als Musikpädagoge junge MusikerInnen und verschaffte ihnen die Möglichkeit eigene Werke aufzuführen. Seine Wertschätzung galt auch KollegInnen, und so hatte er der um elf Jahre jüngeren Konzertpianistin und Komponistin Marie Jaëll (1846 – 1925) sein erstes Klavierkonzert gewidmet. Dies geschah offensichtlich erst nachträglich, denn 1858, im Jahr der Entstehung des Konzertes, hieß die Künstlerin noch Marie Trautmann. Erst im Jahr 1866 hatte sie den Pianisten Alfred Jaëll geheiratet, mit dem zusammen sie auch auftrat. Dazu vermerkte die Schriftstellerin und Musikhistorikerin Ida Marie Lipsius, bekannt als La Mara (1837 – 1927) in einer fünfbändigen Monografie über neue und alte MusikerInnen: „Als Alterspräsidentin […] müssen Sie Clara Schumann an die erste Stelle setzen, obgleich ihr im Können die Neueren über sind, unter denen Sofie Menter ohne Zweifel allen voransteht. Dann Marie Jaëll-Trautmann, die nächst ihr musikalischste, die ihren Mann bedeutend überragt.“ (Die Frauen im Tonleben der Gegenwart. Leipzig 1882). Weniger bekannt als die Pianistin Marie Jaëll war die Komponistin Marie Jaëll. 1870 hatte sie Unterricht bei Saint-Saëns genommen. Auf seine Vermittlung hin fand sie 1887 als eine der ersten Frauen Aufnahme in die Pariser Société des compositeurs.
Es ist nicht belegt, ob Marie Jaëll das ihr gewidmete Konzert jemals öffentlich aufgeführt hat, es ist jedoch kaum vorstellbar, dass dem nicht so wäre. Vermutlich wird sie auch alle fünf Klavierkonzerte Saint-Saëns’, die zwischen 1858 und 1896 entstanden sind, gekannt haben. Jedes dieser Konzerte hat seine Besonderheit, gemeinsam aber sind ihnen allen eine immanente formale Klarheit, klangliche Ausgewogenheit und strenge Proportionen in und zwischen den Sätzen. Insofern ist Saint-Saëns Klassiker, auch wenn er die traditionelle Dreisätzigkeit zuweilen durchbricht. In diesem seinem ersten Konzert sind die drei Sätze noch klar getrennt, im Ersten Cellokonzert beispielsweise aber gehen sie ineinander über, oder sie sind, wie im Zweiten Cellokonzert, zur Viersätzigkeit erweitert. Neu für das französische Publikum dürfte gewesen sein, dass Saint-Saëns seine Konzerte nicht als Virtuosenkonzerte angelegt, sondern – trotz hoher Anforderungen an den Solisten – Solo- und Orchesterpart gleichberechtigt nebeneinander gestellt hat. Beethoven hatte diese dialogische Form in seinen späten Klavierkonzerten entwickelt. Konsequenterweise fehlt nun im ersten Satz von op. 17 eine Solokadenz. Dafür kommt das Klavier aber im zweiten Satz in metrisch freien Kadenzen fast ohne Orchesterbegleitung zu Wort. Geradezu genussvoll kann man im dritten, schwungvollen Satz das eng verzahnte Zusammenspiel von Solo und Orchester verfolgen. In der französischen Presse konnte man zu dieser Neuerung lesen: „Für die Herren Virtuosen – welches Talent auch immer sie haben mögen – gibt es jedenfalls allen Grund zu der Befürchtung, dass die schöne Zeit des Solokonzerts nun endgültig vorbei sei.“ Ironie oder echtes Bedauern – es ist nicht eindeutig.
Edward Elgar (1857-1934)
Serenade für Streichorchester, e-Moll, op. 20 (1892)
Edward Elgar, geboren 1857 in Broadheath, gestorben 1934 in Worcester, wurde zu seiner Zeit als eine Art „musikalischer Erlöser“ seines Heimatlandes angesehen. Denn seit dem Barockkomponisten Henry Purcell (1659 – 1695) hatte es fast zwei Jahrhunderte lang keinen englischen Komponisten von Weltrang mehr gegeben. Noch vor Purcell, in der frühen Neuzeit, konnte sich in England im geistlichen und im weltlichen Bereich eine eigenständige Musik entwickeln, und mit Purcell führte sie im 17. Jahrhundert zu einem Höhepunkt. Schon zu seinen Lebzeiten wurde er als der bedeutendste englische Komponist geschätzt und gewann unter dem Ehrentitel Orpheus britannicus auch internationale Reputation. Einen vergleichbaren Rang erhielt nun auch Edward Elgar, der um die Wende zum 20. Jahrhundert als Erneuerer englischer Musik und als großer Nationalkomponist gefeiert wurde.
Sohn eines Musikalienhändlers, Klavierstimmers und Organisten spielte Elgar bereits früh verschiedene Instrumente. Mit sechzehn Jahren begann er die Ausbildung zum professionellen Geiger – der Komponist Elgar blieb Autodidakt. Während er schon mit dreißig Jahren im lokalen Umfeld Worcesters ein hoch geachteter Musiker war, erlebte Elgar seinen nationalen Durchbruch als Komponist erst in seinen mittleren Lebensjahren mit den Enigma-Variationen (1898/99), dem Cellokonzert Nr. 1 (1918/19) und dem Oratorium Traum des Gerontius (1899/1900). Sein bekanntestes Werk ist das hymnenartige Land of Hope and Glory aus Pomp & Circumstance Marches Nr. 1-5 (1901–07); es gilt als die wichtigste inoffizielle Hymne des Vereinigten Königreichs.
Zurück in die Jahre 1887/88: Elgar schreibt drei Stücke für Streichorchester, die einen sie jeweils charakterisierenden Titel tragen: Spring Song, Elegy und Finale. Nach Umarbeitung entsteht daraus die Serenade für Streicher in F, die 1892 von der örtlichen Worcester Ladies’ Orchestral Class unter der Leitung des Komponisten im privaten Rahmen uraufgeführt wird. Zwar sind die Titel der Urfassung verschwunden – die Sätze tragen nun traditionelle Bezeichnungen – doch ist ihr Charakter gleich geblieben: Der Kopfsatz Allegro piacevole (angenehm, wohlig) erhält durch die im 6/8-tel Takt auf- und absteigenden Melodielinien Züge eines Wiegenliedes, ein prägnantes Achtelmotiv oder auch akkordisch dagegen gesetzte Synkopen bewahren jedoch den schwungvollen Charakter dieses Satzes. Dem gesanglichen langsamen Mittelsatz Larghetto in einem warm leuchtenden Streicherton folgt als heiterer Ausklang das Finale Allegretto. Die drei Sätze zeichnen sich aus durch große Ausgewogenheit – sowohl zwischen den Sätzen, wie auch im Wechsel von heiteren und melancholischen Stimmungen, im Changieren von Dur und Moll. Später in seinem Leben schreibt Elgar einem Freund über die drei Stücke: „I like them (the first thing I did)“ .
Hubert Parry (1848-1918)
Suite für Orchester in F, Lady Radnor's Suite (1894)
Wie sein Landsmann Edward Elgar gehörte Sir Charles Hubert Hastings Parry – so sein vollständiger Name – der Generation spätromantischer Komponisten an. Früh wurde die musikalische Begabung des Sprosses aus englischem Landadel erkannt und gefördert. So konnte Parry auf der Basis einer profunden und professionellen Ausbildung für die Wiedergeburt britischen Musiklebens um 1900 in dreifacher Hinsicht bedeutend werden: als Komponist, als Universitätslehrer und als Musikforscher. Seine solide, an Bach, Händel, Mendelssohn und Brahms geschulte Musik hatte großen Einfluss auf jüngere Zeitgenossen, wie etwa auf Edward Elgar. Parrys Kompositionen umfassen zahlreiche Vokal- und Instrumentalwerke, darunter auch fünf Symphonien.
Im Jahr 1893 erhielt Parry einen Kompositionsauftrag von Helen, Countess of Radnor, einer Freundin seiner Frau Maude. Lady Radnor war eine ausgezeichnete Amateurmusikerin, die ein eigenes Streichorchester nur mit weiblichen Mitgliedern gegründet hatte. Parry kam dem Auftrag mit der Suite für Streicher in F rasch nach, und so wurde sie 1894 unter der Leitung Lady Radnors von ihrem 72-köpfigen Orchester uraufgeführt.
Aber Parry hatte mit dem Werk offensichtlich noch mehr im Sinn. Denn im Autograph der Partitur sind außer den Stimmen der Streicher auch solche für Bläser notiert, und zwar für jeweils zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, und Trompeten. Die Stimme für die Pauken ist nur mit Bleistift am Fuß jeder Partiturseite festgehalten, sodass nicht immer klar wird, was verlangt ist. Eine erste Ausgabe der Suite erschien zeitnah beim englischen Verlag Novello & Co, allerdings nur als Streicherfassung. Erst hundert Jahre später, im Jahr 1993, wurde die große Fassung mit Sets auch für die Bläser heraus gegeben und zur Aufführung gebracht. Beim Konzert heute Abend ist die Fassung für Streicher und Bläser zu hören.
Formal gesehen ist die Suite mit einem Prelude und den fünf darauf folgenden Tanzsätzen ganz dem Barock verpflichtet. Dieser Tradition entsprechen sowohl die Bezeichnungen der Sätze wie auch die jeweiligen Taktarten und Tempi. Auch stilistisch greift Parry auf barocke Pattern zurück und verbindet – auch dies der Tradition gemäß – die Sätze durch eine Tonart, und zwar F-Dur. Ausnahme bildet nur das Menuett in B-Dur, und als Slow Minuet weicht es auch im Tempo vom Herkömmlichen ab. Aber mehr noch, beim genauen Zuhören finden sich unter der historisierenden Oberfläche unverwechselbare romantische Züge, insbesondere durch die Harmonik, durch überraschend eingefügte lyrische Passagen in schnellen Sätzen, durch eine ausdifferenzierte Dynamik und fast unmerklich verschobene Metren. So entpuppt sich das Stück letztlich ganz als Parrys Schöpfung, einer Komposition an der Wende zum 20. Jahrhundert.
Sophia Weidemann, Klavier
Sophia Weidemann, Jahrgang 1994, erhielt im Alter von zehn Jahren ihren ersten Klavierunterricht. Mit gerade erst Fünfzehn konnte sie ihre musikalische Ausbildung als Jungstudentin bei Prof. Florian Wiek an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart fortsetzen. Das Bachelor-Studium ebenso wie das Master-Studium im Fach Klavier schloss sie mit der Bestnote ab. Auslandsaufenthalte führten sie an die Lettische Musikakademie in Riga und die Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, wo sie sich weiter als Pianistin qualifizierte. Seit April letzten Jahres studiert Sophia im Studiengang Konzertexamen an der Musikhochschule in Stuttgart in den Klassen von Prof. Florian Wiek und Prof. Péter Nagy.
Sophia Weidemann ist mehrmalige Bundespreisträgerin von Jugend musiziert in den Kategorien Klavier Solo, Duo und Kammermusik. Weitere zahlreiche Preise zeichnen sie als junge exzellente Pianistin aus. Erste Preise erhielt sie unter anderem 2015 beim Internationalen Béla Bartók Klavierwettbewerb in Wien, beim Matthaes Klavierwettbewerb, dem Tonkünstler-Wettbewerb und dem Internationalen Alexander Scrjabin Klavier-Wettbewerb in Paris im Frühjahr 2019. Im selben Jahr gewann sie zusammen mit ihrer lettischen Duopartnerin Ilze Tomacevska (Violine) den 2. Preis beim Kammermusikwettbewerb der Lettischen Musikakademie. Zusätzlich wurde sie mit dem Preis für die beste Interpretation eines Werkes ausgezeichnet. Mit dem Anima Klavierquartett erhielt sie 2018 einen 1. Preis beim Carl-Wendling Kammermusikwettbewerb in Stuttgart.
Auch zahlreiche Stipendien weisen Sophia Weidemann als vielversprechende junge Pianistin aus: sie ist Stipendiatin des Lyceum-Clubs, der Helga-Drews-Stiftung und der von Yehudi Menuhin gegründeten Stiftung Live Music Now. Ziel dieser Stiftung ist es, Musik an Orte und zu Menschen zu bringen, die aus vielerlei Gründen nicht mehr in der Lage sind, ein Konzert zu besuchen. 2020 wurde Sophia bei Jeunesses Musicales Deutschland als Stipendiatin angenommen. Jeunesses Musicales ist die weltweit größte Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat junge talentierte MusikerInnen zu fördern und ihnen Kurse bei renommierten LehrerInnen zu ermöglichen. Bereits 2015 hatte das Wagner-Stipendium Sophia einen einwöchigen Aufenthalt bei den Festspielen in Bayreuth ermöglicht.
Sophia Weidemanns Konzerttätigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Großraum Stuttgart: In Chicago führte sie 2011 mit dem Jugendsinfonieorchester Filderstadt Mendelssohns Klavierkonzert Nr. 1 in g-Moll auf, und noch im selben Jahr spielte sie dieses mit dem Reutlinger Kammerorchester. In Bulgarien stand 2013 Schumanns Klavierkonzert in a-Moll mit der Sinfonietta Vidin auf dem Programm. Unter anderem wurde Sophia 2017 eingeladen in der Reihe Junge Künstler im Augustinum Stuttgart zu konzertieren.
Neben ihrem Studium besuchte Sophia Weidemann zahlreiche Meisterkurse bei namhaften Pianisten. Derzeit ist sie Tutorin im Wahlfach Klavier an der Musikhochschule Stuttgart, und leitet den Fachbereich Klavier an der Musikschule in Neckartailfingen.