Philharmonie Schwäbisch Gmünd e.V.

Konzertarchiv

Wagner, Saint-Saens, Beethoven
16. November 2019



  • Richard Wagner
    Ouvertüre zu „König Enzio“, e-Moll, WWV 24

    Camille Saint-Saëns
    Cellokonzert Nr. 1, a-Moll, op. 33

    Ludwig van Beethoven
    Symphonie Nr. 1, C-Dur, op. 21

    Solistin: Nicola Pfeffer, Violoncello

    Leitung: Knud Jansen

Gespräch mit Monika Böhm

Konzertmeisterin
der Philharmonie Schwäbisch Gmünd

Bis ins beginnende 19. Jahrhundert wurde das Orchester nicht von einem Dirigenten, sondern vom so genannten „Konzertmeister“ geleitet. Vom ersten Pult der ersten Violinen aus führte er mit deutlichen Zeichen – Körpergesten und Blicken – die Musiker durch die Werke. Die Vergrößerung und Erweiterung des Orchesterapparats durch neue Instrumente und/ oder neue Besetzungsvorgaben und ein erhöhter Anspruch der Komponisten an das Können der Spieler – und damit auch der Professionalisierung des Orchesters als Berufsensemble – bedingte allmählich eine Teilung der Leitungsfunktion in die des Kapellmeisters (Dirigenten) und die des Konzertmeisters. Dies ist im weiteren Verlauf des 19.Jahrhunderts zur Regel geworden und gilt bis heute, obwohl manche Orchester wieder mit dem Konzertmeister als Leiter spielen. Die derzeitige Konzertmeisterin der Philharmonie Schwäbisch Gmünd ist Monika Böhm.

*) - Monika, Du bist seit sieben Jahren Konzertmeisterin der Philharmonie Schwäbisch Gmünd. Welche Aufgaben hat man als Konzertmeister oder anders gefragt, was unterscheidet den Konzertmeister von einem Tuttispieler?

M.B.: Als Konzertmeister ist man erst einmal auch Tuttispieler. Allerdings sind die Aufgaben darüber hinaus recht vielfältig. Man muss wie alle Stimmführer seine Stimmgruppe, aber zusätzlich auch das ganze Orchester führen, notwendige Einsätze geben und vor allem Sicherheit vermitteln. Konzertmeister zu sein bedeutet immer, dem Dirigenten zuzuarbeiten. Das fängt schon in den Proben an, dass man z.B. Anweisungen des Dirigenten in konkrete spieltechnische Abläufe „übersetzt“ – verbal oder gestisch beim Spielen. Daher ist man für Dirigenten ein erster Ansprechpartner. Andererseits vertritt man auch das Orchester gegenüber dem Dirigenten, indem man z.B. auftretende Probleme thematisiert oder auch stellvertretend die Fragen stellt, die in den Proben relevant sind. Allerdings muss man dabei ein Gespür entwickeln, wann es im Probenablauf auch einmal besser ist, eine Frage zurückzustellen. Man ist quasi eine Art Bindeglied zwischen Dirigent und Orchester und gegenüber beiden Seiten verantwortlich. Wenn man so will, ist man der Diplomat im Orchester. Des Weiteren hat man noch die Stimmproben seiner Stimmgruppe oder auch manchmal eine Streicherprobe zu leiten. Dann gibt es natürlich manche zum Teil recht anspruchsvolle Soli als Konzertmeister zu spielen, die Koordinierung der Streicherbesetzung, die Vertretung des Orchesters nach außen, …. Je nach Situation können da noch viele Dinge dazukommen, aber die wirklich aufwändigste Aufgabe ist die des Einrichtens des Notenmaterials für die Streicher.

- Was bedeutet das „Einrichten“ des Notenmaterials? Arbeitest Du hier eventuell auch mit dem Dirigenten zusammen?

M.B.: Ich schaue dabei alle Stimmen der Streicher durch und versehe sie mit Strichbezeichnungen, so dass jeder weiß, wann er wie zu streichen hat. Im Einrichten der Noten steckt viel interpretatorische Verantwortung. Daher ist es für mich wichtig, immer mit der Partitur den Gesamtkontext im Blick zu behalten. Dort schaue ich mir den Aufbau eines Werkes an, um dann zu entscheiden, welche Striche stilistisch, im Kontext und Zusammenspiel mit den anderen Stimmen Sinn machen und der Intention des Komponisten entsprechen. Diese Striche trage ich zuerst in meine Partitur ein. Falls dabei an zentralen Stellen Fragen entstehen, halte ich durchaus auch Rücksprache mit dem Dirigenten, um das vorab zu klären. Allerdings lassen sich kleinere Dinge immer schnell in der Probe noch abändern. Im zweiten Schritt übertrage ich die Striche aus der Partitur in die Einzelstimmen, die ich dann jeder Stimme zum Übertragen in das eigene Spielexemplar zur Verfügung stelle.

- Warum wird Wert darauf gelegt, dass alle Streicher bzw. die einzelnen Stimmgruppen einen einheitlichen Strich machen; das heißt z.B, dass alle mit einem Abstrich (Ansetzen des Bogens am „Frosch“, also unten) oder einem Aufstrich (Ansetzen an der Spitze) beginnen?

M.B.: Ziel ist nicht unbedingt nur die optische Synchronität, sondern vor allem eine klangliche. Diese ist der eigentliche Grund für das einheitliche Streichen. Klanglich ist ein Abstrich nämlich tendenziell kräftiger als ein Aufstrich. Außerdem reagiert ein Bogen an verschiedenen Bogenstellen anders. Bei Beethoven muss man z.B. viel am Schwerpunkt des Bogens spielen, da er dort am spritzigsten reagiert.

-Warum nimmt man als Konzertmeister beim Einstimmen des Orchesters den Kammerton ‚a’ (üblich: 440 – 443 Hertz) von der Oboe ab?

M.B.: Bei so vielen Spielern braucht es jemanden, der das Einstimmen vor jeder Probe und dem Konzert koordiniert. Als Konzertmeisterin signalisiere ich durch Aufstehen der 1. Oboe, dass sie das ‚a‘ geben soll. Die Oboe hat einen sehr klaren, obertonreichen Ton und setzt sich klanglich gut gegen die anderen Instrumente durch, ist also gut hörbar.

- Jede der vier Stimmgruppen der Streicher (Violinen I, II, Violen, Celli und Kontrabässe) hat einen Stimmführer. Wie sieht die Kooperation von Konzertmeister und Stimmführer aus?

M.B.: Im Idealfall sollten die Stimmführer beim Spielen agieren wie ein Streichquartett: also ständig mit offenen Augen und Ohren das Spielen der anderen mitverfolgen, darauf reagieren, gemeinsam atmen usw. Als Konzertmeister ist man da so etwas wie der Primarius eines Streichquartetts, ein „Primus inter pares“, also irgendwie zwar gleichberechtigt, hat aber letzten Endes doch etwas mehr zu sagen. Ansonsten werden Strichänderungen, sofern sie mehrere Stimmen betreffen, untereinander abgesprochen und festgelegt.

-Inwiefern sind getrennte Stimmproben der Stimmgruppen sinnvoll?

M.B.: Jede Stimme und jedes Instrument hat eigene Schwierigkeiten. In Stimmproben können genau diese individuellen Probleme im Detail angegangen werden, ohne dass das gesamte restliche Orchester warten muss. Manches lässt sich so einfacher besprechen und einmal in Ruhe ausprobieren. Außerdem rückt in einer Stimmprobe viel deutlicher der gemeinsame Gruppenklang einer Stimmgruppe in den Fokus.

- Es gibt in unserem Orchester unterschiedliche Niveaus technischen Könnens. Welche Möglichkeiten hat man als Konzertmeister, Unterschiede im Können der Spieler auszugleichen?

M.B.: Während der Proben habe ich die Möglichkeit, technische Hinweise oder Anregungen zum Üben daheim einzubringen. Das geht schon in Richtung Instrumentalunterricht. Außerdem spielt man die Werke selbst mit und manches auch in den Proben vor, woraus sich eine Vorbildfunktion ergibt. Wichtig ist für mich persönlich daher auch immer der Blick über den Tellerrand hinaus, beispielsweise im Zusammenspiel mit Kollegen in anderen Orchestern, um im gegenseitigen Austausch auch selbst neue Impulse zu bekommen, den eigenen Horizont und Erfahrungsschatz stetig zu erweitern und so dann auch weitergeben zu können.

- Zuweilen gibt es in den Orchesterwerken auch Soli für einzelne Streichinstrumente. Hast Du bei einem solchen Violinsolo Lampenfieber – und wenn ja, wie gehst du damit um?

M.B.: Vor Lampenfieber bin ich bisher gänzlich verschont geblieben. Mir wird nachgesagt, ich sei immer die Ruhe in Person, was vermutlich nicht die schlechteste Voraussetzung dafür ist. Allerdings gehört eine gewisse positive Spannung schon dazu, um dann fokussiert sein zu können. Im Konzert möchte ich die Musik aber auch gestaltend erleben, genießen und durchaus einfach Spaß am gemeinsamen Musizieren haben können.

- Hast Du als Konzertmeisterin Einfluss auf die Programmgestaltung eines Konzerts?

M.B.: Vorschläge kann bei uns jeder Mitspieler machen, also auch ich. Beratend bin ich aber immer eingebunden, wenn ein Stück aufs Programm gesetzt werden soll. Ich schaue mir die Werke vor der endgültigen Entscheidung aus Streichersicht an, um die Spielbarkeit für uns einzuschätzen.

- Bei der Auswahl der Stücke könnten ja Differenzen zwischen Dirigent und Konzertmeister auftreten, welche technischen oder musikalischen Schwierigkeiten die Spieler überhaupt noch bewältigen können. Kommt das manchmal vor?

M.B.: Wir sind meist ähnlicher Meinung. Ansonsten wird darüber ganz offen auf Augenhöhe diskutiert und argumentiert. Die letzte Entscheidung liegt dann aber ganz klar beim Dirigenten.

- Wie wird man Konzertmeister der Philharmonie Schwäbisch Gmünd?

M.B.: Zu dem Zeitpunkt, als der Wechsel anstand, war es bei mir so, dass ich schon stellvertretende Konzertmeisterin der Philharmonie Schwäbisch Gmünd war. Ich wurde dann von Knud Jansen als Künstlerischem Leiter gefragt, ob ich diese Position übernehmen würde, was ich dann auch getan habe.

- Monika, was wünschst Du Dir für die Zukunft des Orchesters?

M.B.: Da gibt es allerhand Wünsche und Ideen: Erst einmal natürlich im Hinblick auf das Orchester selbst viele weitere spannende Programme, an denen sich das Orchester weiterentwickeln und zusammen mit dem Publikum Bekanntes und auch selten Gespieltes (wieder-)entdecken kann, weiterhin zahlreiche engagierte Mitspieler, die Lust darauf haben, auch einmal etwas Neues auszuprobieren, dann eine stabile, ausgewogene Besetzung aller Stimmen, eine größere Präsenz innerhalb der Stadt. Spannend wären auch Konzertformate wie Gesprächskonzerte quasi als Weiterführung unserer Kinderkonzerte im Jugend- und Erwachsenenbereich.

*) Die Fragen stellte Ingeborg Havran (Mitglied des Orchesters)

Komponisten und Werkbeschreibungen

  • „Erstlinge“ und „Marksteine“
    Alle drei Werke dieses Konzertes sind „Erstlinge“ ihrer Komponisten in Bezug auf die jeweilige Gattung: es ist Beethovens erste Symphonie, Wagners erste Ouvertüre und Saint-Saëns’ erstes Cellokonzert. Jedoch entstanden alle drei Werke während ganz unterschiedlicher Schaffensphasen dieser Komponisten. Alle drei Werke können ganz für sich stehen, haben aber, musikalisch wie auch außermusikalisch betrachtet, auch eine besondere Bedeutung – sie weisen über sich hinaus, sind sozusagen „Marksteine“ von Entwicklungen.
    Beethoven, als er 29-jährig mit der Komposition seiner ersten Symphonie begann, hatte mit seinen Klavier- und Kammermusikwerken bereits einen ersten Höhepunkt seiner kompositorischen Laufbahn erreicht. Selbstbewusst beschritt er nun mit der ersten Symphonie neue Wege, die er konsequent bis zur Neunten weitergehen sollte. Dagegen stand der 18-jährige Wagner noch ganz am Anfang, als er sich mit der Ouvertüre zu König Enzio in einer musikdramatischen Gattung versuchte und einen ersten bescheidenen Erfolg errang. Der Weg zum Musikdrama deutete sich hier bereits an. Camille Saint-Saëns hatte als 37-Jähriger zwar schon Solokonzerte komponiert, für das Klavier und die Violine – nicht aber für das Violoncello. Dieses erste Cellokonzert verschaffte ihm wachsendes Ansehen beim französischen Publikum, das ihn schließlich zum größten Komponisten seines Landes und seiner Zeit kürte.

    Die Texte wurden von Ingeborg Havran verfasst.



  • Richard Wagner (1813 – 1883)
    Ouvertüre zu König Enzio, e-Moll, WWV 24

    Entstehungsgeschichte von Ouvertüre und Bühnenmusik
    Die Ouvertüre zu König Enzio (WWV 24) des erst 18-jährigen Wagner ist der Initiative seiner um zehn Jahre älteren, geliebten Schwester Rosalie zu verdanken. Schon als Jugendliche hatte sie auf der Bühne gestanden, und als sie 1829 an das Leipziger Theater engagiert wurde, war sie bereits eine hochangesehene Berufsschauspielerin. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass ihr Bruder Richard den Auftrag für eine Ouvertüre und eine Bühnenmusik zu Ernst Raupachs Historiendrama König Enzio bekam. Dieses Trauerspiel, in dem sie die weibliche Hauptrolle der Lucia spielte, ist eines der Dramen in Raupachs sechzehnteiligem Zyklus über die mittelalterliche Dynastie der Hohenstaufen (11. – 13. Jahrhundert), angefangen bei frühen bedeutenden Stauferherrschern, über Kaiser Barbarossa bis zum letzten Spross, König Konradin.

    König Enzio – die mittelalterliche historische Figur
    Protagonist von Raupachs Drama ist die historische Figur des Enzio (deutsch: Heinz), einem unehelichen Sohn des großen Stauferkaisers Friedrich II. Er hatte Enzio zum König von Sardinien (1224 – 72) gemacht. Doch nahm Enzio auch an Kriegszügen seines Vaters gegen die oberitalienischen Städte, welche die Herrschaft der Staufer in Süditalien bedrohten, teil. Dabei war er 1249 in Gefangenschaft geraten und alle Versuche des mächtigen Vaters, ihn frei zu bekommen, scheiterten. Und so verbrachte Enzio die restlichen 23 Jahre seines Lebens als politischer Gefangener im heutigen Palazzo di Re Enzio in Bologna. Allerdings musste er nicht in einem dunklen Verlies schmachten, sondern genoss als königlicher Gefangener weitgehende Privilegien. Er durfte Besucher – auch Frauen – empfangen, hatte Zugang zu Schriften und verfasste selbst Gedichte. Um König Enzio ranken sich zahlreiche Legenden, die ihn zu einem schönen, klugen und erfolgreichen jungen Ritter hochstilisieren, wohingegen er in der Realität ein wenn auch sehr ansehnlicher, aber vor allem grausamer Kriegsherr gewesen sein muss.

    Ernst Raupachs Drama König Enzio
    Ernst Raupach (1784-1852) war ein höchst produktiver Stückeschreiber und zu seiner Zeit ausgesprochener Liebling des Theaterpublikums. Er wurde sogar als „neuer Schiller“ der deutschen Bühne gehandelt. Doch hielt letztlich keines seiner Werke diesem Anspruch Stand, und so verschwanden sie im Verlauf der Zeit gänzlich von den Theaterspielplänen.
    Im Trauerspiel König Enzio (1831) orientiert sich Raupach zwar an groben Fakten der historischen Figur wie Königtum und lebenslanger Gefangenschaft, doch weicht er um der Dramatik willen von der Realität stark ab. Er wertet die Figur Enzios als genialen Dichter und Sänger auf, vor allem aber macht er eine Liebesgeschichte zwischen dem König und einer Bürgerlichen zum Mittelpunkt seines Dramas: zunächst gibt es wegen des Standesunterschiedes keine Perspektive auf ein gemeinsames Leben des Paares. Doch ein Fluchtversuch des Königs ändert alles: Enzio wird entdeckt, und im Gegensatz zu bisher milden Haftbedingungen wird er nun zu allerstrengster Verwahrung in einem düsteren Kerker verurteilt. Doch seine Geliebte Lucia ist bereit, dieses schreckliche Schicksal des Degradierten zu teilen. Und so finden sie sich schließlich doch als Paar vereint in einem unterirdischen, lichtlosen Verlies.

    Wagners Ouvertüre zu König Enzio
    Zu diesem Trauerspiel komponierte Wagner eine entsprechend dramatische Musik. Zunächst erlaubte er es nicht, dass sein Name auf dem Programmzettel der ersten Aufführung abgedruckt wurde; denn für den Fall eines Misserfolgs konnte er als Komponist unerkannt bleiben. Nun wurde seine Musik aber bei der Premiere am 17. Februar 1832 im Leipziger Theater freundlich aufgenommen, und ab jetzt durfte sein Name auch auf den Programmzetteln erscheinen. Aufgeregt schrieb er an seine zweite Schwester Ottilie: “Neuerdings habe ich auch zu König Enzio [...] eine Ouvertüre komponiert, die bei jedesmaliger Darstellung des Stücks im Theater aufgeführt wird. Sie gefällt allen.“ Das Drama als solches fand jedoch beim Publikum keinen Anklang und wurde schon einen Monat nach der Premiere vom Theaterspielplan gestrichen.

    So flach die Handlung des Dramas von Raupach auch sein mag, möglicherweise war Wagner vom Kern der Handlung angezogen und dies ein Grund – abgesehen von der Rolle seiner Schwester dabei – sich für eine Musik zu dem Stück zu interessieren. Denn in Raupachs Drama findet sich eine theatralische Urszene, die Wagner schon als Vierzehnjähriger in einem fünfaktigen Trauerspiel Leubald zu einem inhaltlichen Schwerpunkt gemacht hatte: erst im Augenblick tragischen Schicksals können die Liebenden endgültig zusammen kommen. Liebe ist also stets mit Tragik verknüpft, was in fast allen seinen späteren Musikdramen zum zentralen Thema wird. Zu denken ist an die Liebespaare Holländer und Senta, Tannhäuser und Elisabeth, Tristan und Isolde, Siegfried und Brünnhilde.

    Dass Wagner nicht bei der Textdichtung stehenblieb, sondern die Musik eigens als Entfaltung und Vervollkommnung dessen sah, was sich durch die Sprache bzw. den Text nur unzureichend mitteilen könne, dämmerte ihm wohl schon früh. Dies lässt sich bereits an der Zahl musikdramatischer Kompositionen erkennen, die allein zwischen 1831 und 1833 entstanden: drei große Ouvertüren, darunter König Enzio, Sieben Kompositionen zu Goethes Faust und eine erste Oper, Die Feen.

    Obwohl der Ouvertüre zu König Enzio keine Oper folgt und auch die Bühnenmusik verloren ging, wodurch man Motive oder Themen bestimmten Charakteren, Handlungselementen oder ganzen Szenen hätte zuordnen können, ist der Bezug von Drama und Musik offensichtlich. Die langsame Einleitung dieser zweiteiligen Schauspielouvertüre in e-Moll schafft mit einem Sehnsuchtsmotiv und einem lyrischen Thema zunächst eine verhalten spannungsvolle Atmosphäre. Eine dramatische Steigerung führt zu dem heroisch anmutenden Hauptthema des Allegro con brio in der Variante E-Dur, das mit seinen Abspaltungen und Rückungen für das Schicksal des König Enzio stehen könnte. Lucia, der Geliebten Enzios, hat Wagner wohl das zweite lyrisch-fließende Thema zugedacht. Beide Themen sind wesentliche konstituierende Elemente dieses zweiten Teils, der mit einem stehenden e-Moll-Akkord im Pianissimo zur ersten Szene des Trauerspiels hinführt – oder auch schon auf dessen tragischerlösendes Ende hindeutet. An melodischen Wendungen und harmonischen Reibungen dieses Frühwerks lassen sich bereits Charakteristika der späteren Meisterwerke Wagners erkennen.



  • Camille Saint-Saëns (1835 – 1921)
    Konzert für Violoncello Nr. 1 a-Moll, op. 33

    Die Uraufführung des Cellokonzerts Nr. 1 a-Moll, op. 33 von Camille Saint-Saëns fand am 19. Januar 1873 in Paris statt. Es ist dem belgischen Cellisten, Gambisten und Instrumentenbauer Auguste Tolbecque gewidmet. Dessen musikalisch ambitionierte Familie war eng verbunden mit der Société des Concerts du Conservatoire, Frankreichs damals führender Konzertinstitution. In der Regel waren dort nur Werke alter Meister zu hören. Dass man jedoch das Cellokonzert von Saint-Saëns für aufführungswürdig befand und mit Tolbecque als Solisten uraufführen ließ, zeigt die wachsende Bedeutung des Komponisten, der ab den 1880er Jahren als größter Musiker des Landes galt.
    Nicht zuletzt mag diese hohe Wertschätzung im Zusammenhang mit Saint-Saëns’ Engagement für die französische Musik gestanden haben. Frankreich hatte 1871 eine bittere politische Niederlage im Französisch-Preußischen Krieg hinnehmen müssen, auf kultureller Ebene herrschte seit Jahren ein erbitterter Kampf zwischen Anhängern (wagnérisme) und Gegnern von Wagners Musik. Prominente Anhänger waren zum Beispiel der Schriftsteller Charles Baudelaire oder der Maler Gustave Courbet. In diesem Klima nationaler Kränkung wurde der Ruf nach einer spezifisch französischen Musik immer lauter. Saint-Saëns’ Antwort darauf war die Gründung der Société Nationale de Musique unter dem Motto Ars Gallica, gemeinsam mit César Franck. Ziel dieser Gesellschaft war es, die französische Instrumentalmusik zu fördern und den Wagner-Kult, wie überhaupt das Interesse an der deutschen Musik zurückzudrängen. Genau in dieser Phase begann Saint-Saëns mit der Komposition an seinem ersten Konzert für das Cello, einem Instrument, das bisher im Schatten der Begeisterung des Publikums für Violin- und Klavierkonzerte stand.

    Dem scheinbar einsätzigen Werk liegt die klassische Form des dreisätzigen Solokonzertes zugrunde. Auch wenn die Sätze ohne Pause ineinander übergehen, sind sie klar durch unterschiedliche Tempi, Ausdruckscharaktere und Tonarten voneinander abgesetzt. Kurioserweise wurde diese Form des Konzerts von einem deutschen Komponisten etabliert, dessen Werke Saint-Saëns auch kannte und schätzte, Franz Liszt. Den ersten, schnellen Satz eröffnet nicht das Orchester, sondern das Solocello mit einem energievollen, in Triolen herabstürzenden Thema. Mehrmalige variierte Wiederholungen und die Aufnahme durch das Orchester weisen es als zentralen Gedanken der Komposition aus. Denn, indem es auch im dritten, schnellen Satz erscheint, wirkt es als musikalische Klammer der unterschiedlichen Teile. Diese sind charakterisiert durch Vielfalt und Originalität der melodischen Einfälle wie beispielsweise im zweiten Satz, einem leichtfüßigen Menuett. Hier wird das Thema im Orchester von einer wunderschönen Kantilene des Solocellos kontrapunktiert; erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Schwan aus dem Karneval der Tiere von 1886. Im Weiteren weisen sich die einzelnen Abschnitte des Konzerts durch virtuose, kadenzartige Partien, durch rezitativisch gehaltene oder lyrische Passagen des Soloinstruments aus. Dabei gibt das Orchester dem Solocello allen Raum seine besondere Klanglichkeit und Fülle zu entfalten. Dem Solisten wird abverlangt, das Cello in seiner ganzen Dimension von fünf Oktaven so zu beherrschen, dass noch die höchsten Töne dem silbernen Klang einer Violine in nichts nachstehen. An solchen Stellen des Konzerts begleitet das Orchester sehr dezent, während es dem Solisten in eher kurzen Abschnitten auch Dialogpartner sein kann, oder mit einem eigenen Tuttithema im ersten und letzten Satz auch ganz ohne den Solisten agiert. Nach der deutschen Erstaufführung des Konzerts 1877 urteilte man in der selten so begeisterten Neue[n] Zeitschrift für Musik: „Das Concert ist knapp und elegant in der Form, pikant im Detail, wirksam für den Solisten – was will man mehr?"



  • Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
    Symphonie Nr. 1 C-Dur, op. 21

    Die Uraufführung von Beethovens erster Symphonie fand am 2. April 1800 in der ersten Musikalische(n) Akademie im k.u.k. Nationalhoftheater Wien statt. Im selben Konzert wurden auch eine Symphonie Mozarts, zwei Nummern aus Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung, Beethovens Septett op. 20 und sein erstes Klavierkonzert gegeben. Überdies fantasierte Beethoven selbst frei auf dem Klavier. Anlässlich dieser Uraufführung schrieb die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung: „Dies war wahrlich die interessanteste Akademie seit langer Zeit.“ (LAZ, 1800)

    Auch wenn das Programm dieses Konzerts sehr bunt ist, so zeigt sich, dass die noch relativ junge Gattung „Symphonie“ mit zwei Werken darin bereits eine bedeutende Stellung einnimmt. Entstehungsgeschichtlich hängt dies eng zusammen mit dem Aufstieg des Bürgertums und seiner Entfaltung im materiellen und geistigen Bereich. Bedeutete „Sinfonia“ im 17. Jahrhundert noch ein dreiteiliges Einleitungsstück zur Oper (schnell – langsam – schnell), so lag mit diesen formalen Merkmalen bereits umrisshaft vor, was sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts zur Symphonie als eigenständiger Gattung entwickeln sollte. Zur Norm wird die viersätzige Anlage mit schnellem Kopfsatz, langsamen Satz, Tanzsatz und Finale. Der Wandel vom unterhaltenden, höfischen Musikstück zum autonomen Werk, das um seiner selbst willen gehört werden will, geht einher mit der Ausbreitung des öffentlichen Konzertwesens. Feudale, höfische Institutionen – wie zum Beispiel die Hofkapelle – werden im letzten Drittel des Jahrhunderts zunehmend von der bürgerlichen Institution „Konzert“ abgelöst; die Veranstaltungen stehen nun jedem gegen Eintrittsgeld offen. Dabei rückt auch die Symphonie stärker ins Interesse des breiteren Publikums und wird im 19. Jahrhundert endgültig zum repräsentativen Hauptstück der Konzerte.

    Die Produktion von Symphonien am Ende des 18.Jahrhunderts wird auf etwa 20 000 geschätzt, was zeigt, dass sich Komponisten auch schon im höfischen Umfeld mit der Gattung auseinandersetzten und so deren kompositorische Entwicklung beförderten. Mit großer Deutlichkeit zeigt sich dies im Schaffen Haydns und Mozarts. Schrieb Haydn noch 104 Symphonien, Mozart 53 – Beethoven dagegen „nur“ noch neun. Bei der großen Anzahl von Symphonien Haydns und Mozarts ist nicht verwunderlich, dass viele ihrer frühen Symphonien auf ein gemeinsames Modell zurückgehen, was sich in der Thematik, der harmonischen Anlage und in der Abfolge dynamischer Kontraste zeigt. Die späteren Werke jedoch verlieren immer mehr ihren serienhaften Charakter und es entstehen ganz individuelle Lösungen der Gattung (z.B. Haydns zwölf Londoner Symphonien, 1791 – 95; Mozarts drei letzte Symphonien von 1788).

    Als Beethoven mit seiner ersten Symphonie an die Öffentlichkeit tritt, ist er sich seiner Stellung als freier Künstler, wie auch seines Anspruchs an die Symphonie sehr bewusst: mit ihr Werke zu schaffen, die eine vom bürgerlichen Humanitätsideal geprägte Allgemeingültigkeit besitzen und sich damit an die große Menge richten. Jede seiner neun Symphonien ist ein „Meisterwerk“, das seine eigene ideelle und innermusikalische Bedeutung trägt und in einer Entwicklungslinie mit der jeweils folgenden steht. In seiner ersten Symphonie knüpft Beethoven noch an den Symphonietypus des späten Haydn an, mit ausgewogenen Proportionen der vier Sätze, Kontrastreichtum der Themen (1., 2. und 4. Satz), Liedhaftigkeit des zweiten Satzes und einem Finale, das durchaus noch den Charakterzug eines Kehraus’ trägt. Doch diagnostiziert der oben zitierte Rezensent der Uraufführung der ersten Symphonie bereits: „sehr viel Kunst, Neuheit und Reichtum an Ideen“ (LAZ, 1800). Gleich zu Anfang ein Novum: die kühne langsame Einleitung des ersten Satzes, die nicht mit der Grundtonart C-Dur beginnt, sondern nach einem Spannungsakkord (Septimakkord) eine Akkordfolge durchmisst und erst nach zwölf Takten mit dem Einsatz des Hauptthemas des ersten Satzes das C-Dur erreicht. Was hier – ähnlich auch in der langsamen Einleitung des Finalsatzes – vorgeführt wird, ist ein Prozess des Entstehens, des Gestaltgewinnens und Vorwärtsstrebens. Diesem Beginn ist ein Ausspruch Beethovens zu seiner Musik geradezu programmatisch eingeschrieben: „Allein Freiheit, weitergehen, ist in der Kunstwelt wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck.“

    Insgesamt gesehen schafft Beethoven mit seiner ersten Symphonie eine Dynamisierung wesentlicher musikalischer Parameter: kontrastierende Themen erscheinen geschärft (Sonatenhauptsatzform des 1. 2. und 4.Satzes), alle Sätze der Symphonie sind durchdrungen vom Entwicklungsgedanken, was die Intensivierung und Verdichtung der motivisch-thematischen Arbeit bedingt; sehr rasche Tempi sind verlangt, Beethoven selbst führt für alle Sätze Metronomzahlen an; der 3. Satz ersetzt als sehr schnelles Scherzo das Menuett, (welches noch an die Körperlichkeit des barocken Tanzes denken ließ); die ausdifferenzierte Dynamik korrespondiert mit dem dichten Satzgefüge im Dienste des Ausdrucks.

    Bereits in seiner ersten Symphonie legt Beethoven also das an, was später zum Maßstab für die Symphoniker des 19.Jahrhunderts werden soll – und zu Verzögerungen oder Hemmnissen des Schreibens führen kann. Brahms an einen Freund: „Ich werde nie eine Symphonie komponieren. Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört".

Nicola Pfeffer, Violoncello



  • Nicola Pfeffer (*1998) erhielt ihren ersten Cellounterricht im Alter von sieben Jahren bei Joseph Hasten an der Musikschule Tübingen. 2014 wechselte sie an die Musikhochschule Stuttgart, wo sie zunächst als Jungstudentin und seit dem Wintersemester 2015/16 als Bachelorstudentin in der Klasse von Prof. Conradin Brotbek studiert. Zusätzliche Anregungen erhielt sie bei zahlreichen Meisterkursen unter anderem bei Prof. Wolfgang Emanuel Schmidt, Prof. Maria Kliegel, Prof. Claudio Bohorquez und Jan Vogler.

    Beim Wettbewerb "Jugend musiziert" erspielte sich Nicola Pfeffer sechs erste Bundespreise. Für diese herausragenden Leistungen bekam sie zusätzlich mehrere Sonderpreise, wie den Preis für das beste Familienensemble 2013 und den Preis der Bundesapothekenkammer 2014. Daraufhin wurde sie von der "European Union of Music Competitions for Youth" ausgewählt eine Konzerttournee durch Österreich und Bayern zu spielen. Auch auf internationaler Ebene gewann Nicola Pfeffer zahlreiche Preise, darunter den 1. Preis beim "Prix Edmond Baert" in Brüssel 2016 und im gleichen Jahr 3. Preise beim "Concours Tremplin" in Paris und beim "Dotzauerwettbewerb" in Dresden. 2017 erspielte sie sich einen 3. Preis beim August-Dombrowski-Wettbewerb in Riga. Aktuell gewann sie erneut den 3. Preis beim „Concours Tremplin“ in Paris. Seit 2015 ist sie Stipendiatin von Yehudi Menuhins "Live Music Now" in Stuttgart und seit 2017 Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie.

    Seit diesem Jahr spielt Nicola Pfeffer ein Violoncello von Francesco Ruggieri aus dem Jahr 1680, das ihr von der Landessammlung Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt wurde.